Leben

Unser Hof

Ich bewirtschafte unseren Hof, der seit Generationen im Familienbesitz ist. Eine Frau habe ich nicht. Warum, dazu vielleicht an anderer Stelle mehr. Ob ich Kinder habe, das weiß ich nicht. Es hat sich bislang niemand wegen Unterhaltszahlungen bei mir gemeldet. Meine Mutter geht mir noch zur Hand, so gut sie halt kann.

Wir waren 5 Geschwister. Wir sind alle – bis auf Josef – auf die Schule gegangen, bis zum Abitur. Ja, ich hab Abitur. Meine Eltern waren stolz auf uns. Josef war als Hoferbe vorgesehen, ein Bild von einem jungen Burschen. Die anderen vier sollten was Gescheites lernen oder studieren. Ich habe dann begonnen Mathematik und Physik für das Lehramt zu studieren. Doch dann ist der Josef mit dem Auto tödlich verunglückt, eine schlimme Zeit. Ich habs mir nicht lange überlegt und bin dann zu meinen Eltern gegangen, dass ich den Hof übernehmen würde. Die Dankbarkeit war groß und ich glaube noch heute, dass es eine richtige Entscheidung war. Was unterscheidet einen Studierten oder einen Mathematiker von einem Bauern? Ich glaube, nichts. Ein Mathematiker muss sicher manchmal abstrakter denken, aber gegen die Freiheit eines Bauern ist das nichts. Und es gibt noch heute viele schlaue Bauern.

Unser Hof hat 41 ha Wiesen und Äcker und 70 ha Holz. Alles eigener Besitz, nichts gepachtet. Damit war man früher ein großer Hof, fast schon ein Gut – zumindest bei uns in der Gegend. Heute reichts zum Leben.

Wirtschaftlich stehe ich auf zwei Beinen: Meinem landwirtschaftlichen Betrieb mit 60 Rindern, davon 25 Milchkühe. Dazu noch ein paar Schweine – das Hobby meiner Mutter. Und das Holz.

Warum ich keine Frau habe?

Das ist eine lange Geschichte. Beieinander war ich mit vielen, schön wars fast immer. Geistig und körperlich hab ich mit einigen gut zusammengepasst. Doch da gibt es was, weswegen ich im Dorf teilweise als Spinner verschrien bin: das verrate ich jetzt nicht – später mal mehr dazu. Was soll der Schmarrn, das haben viele Freunde schon oft gesagt. Am Anfang habe ich versucht es zu erklären. Jetzt habe ich es schon lange aufgegeben. Wenn mich jemand nochmal darauf anspricht, dann schüttle ich den Kopf und sage, das war ein schöner Schmarrn. Und langsam wird das ganze vergessen. Das ist gut so.

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Wer ich bin?

Da geht’s mir nicht anders als vielen anderen auch. Ich weiß es nicht, obwohl ich mir selbst am nächsten bin und der einzige bin, der meine Gedanken lesen kann. Mir wird immer mehr meine Endlichkeit bewusst. Ich bin einer von vielen: der Menschheit, der Tier- und Pflanzenwelt, der Erde. In der Jugend hat mich das Weltall wirklich interessiert. Jetzt ist es mir fast egal. Die Physiker versuchen unsere Welt und das Weltall zu verstehen. Ich nehme die Welt als solches jetzt hin. Gottgegeben. Und freue mich doch über neue Erkenntnisse.

Ich lebe mit der Zeit und seinen Zeiten. Am schönsten ist der Frühling, am wenigsten gefällt mir der November, er drückt auf mein Gemüt. Und so wie das Jahr und jeder Tag seine innere Ordnung hat, so versuche ich auch zu leben. Mit der Welt und mit der Zeit. Ich lasse mich aber nicht treiben, das wäre Verschwendung und vergeudete Zeit. Ich bin, wer ich bin. Ich zeige mein Profil, ohne andere verletzen zu wollen. Respekt vor den anderen, aber auch vor mir, ist mir wichtig.

Alle anderen Lebewesen sind vom Instinkt gesteuert. Instinkte schaffen Ordnung, es gibt klare Regeln. Wer im Herbst eine Hirschbrunft erlebt hat, weiß wovon ich spreche. Der Mensch hat viele Instinkte verloren, geopfert auf dem Altar des Denkens. Jeder von uns Menschen ist anders – und daher braucht es klare Regeln, um den Umgang miteinander zu regeln. Denn der Verstand und die Emotion haben eine breite Streuung, da passt vieles nicht zusammen. Ohne Regeln endet vieles im Chaos. Wenn man die Muße hat, Mutterkühen zuzuschauen, wie sie – trotz aller Instinkte – ihre Kälber erziehen, ein Genuss. Ich habe daraus gelernt: Erziehung bedeutet Regeln zu setzen. Manchmal bin ich in der Stadt und sehe im Cafe Mütter und Väter, die stolz darauf sind, ihren Kindern keine Regeln zu setzen. Und erlebe Chaos. Regeln setzen heißt nicht, zu ohrfeigen oder zu schlagen. Mit Regeln gleichen wir unsere verlorenen Instinkte aus.

Manche werden jetzt sagen, was bildet sich dieser hergelaufene Bauer ein, das ist wissenschaftlicher Unsinn, oder so. Vielleicht haben sie recht. Es kann aber auch sein, dass ich die Natur und uns Menschen auch ziemlich gut kenne.

Meine Initialen

Mehr oder weniger verantwortlich ist meine Lieblingswirtin dafür. Wenn Sie Ihr Wirtshaus schließt, dann bringe ich sie manchmal nach Hause, oder sie bringt mich manchmal nach Hause. Das geht schon seit vielen Jahren so. Eines Morgens hat sie in meinem Schlafzimmer meine handschriftlichen Skizzen der Initialen entdeckt. Natürlich hat sie mich damit erst mal geneckt. Aber dann hat sie schon zugegeben, dass ihr die Skizzen ganz gut gefallen. Und sie kenne da aus gemeinsamen Studienzeiten eine alte Freundin, die an der Kunstakademie studiert hat und jetzt als Künstlerin lebe. Die könne doch die Initialen in Öl malen.

Das hat die Künstlerin gemacht und seitdem hüte ich die beiden Bilder wie meinen Augapfel. Das A und das M.

Was ich will?

Zu Ende leben. Manchmal könnte man verzweifeln, weil wir Menschen ja wissen, dass unser Dasein endlich ist. Ich habe viel über die Welt, über Gott, über Religion nachgedacht. Und ich habe akzeptiert, dass mein Denken endlich ist. Dass es Dinge gibt, die ich nicht begreifen kann. Vielleicht, weil es uns Menschen auch nichts angeht.

So lebe ich ziemlich gut im Sein. Im Hier und Jetzt. Immer nur mehr zu wollen, jemand anderer zu sein, erzeugt Unruhe, Unzufriedenheit. Es erzeugt Reibungen zwischen den Menschen, führt zu Konflikten.

Mir gefallen Löwen. Sie sind aktiv und gehen auf die Jagd, wenn sie Hunger haben. Wenn sie satt sind, dann liegen sie tagelang zufrieden in der Sonne. Fast die ganze Tierwelt lebt so. Natürlich ist das Tierreich keine Idylle. Es ist ein ständiger Kampf und manchmal ein ziemlich brutaler.

Im Holz ist es ähnlich: Alles strebt zum Licht, ein ziemlich langsamer aber doch brutaler Kampf. Wenn nach einem Windwurf Zehntausende kleine Bäumchen zum Kampf gegeneinander antreten, zusätzlich bedroht von Brombeerstauden und Wildgras, dann wird hier ohne Rücksicht auf den anderen gekämpft. Ganz langsam, nur über Jahrzehnte erlebbar. Nach 80 Jahren sind von 10000 Bäumchen vielleicht noch 20 übrig. Man darf das Holz nicht idyllisch verklären.

Philosophisches

Ein durchreisender, wahrscheinlich mittelloser Philosoph, hat mich auf seinen Reisen in meinem Stamm-Wirtshaus getroffen. Zunächst zufällig, später in vollendeter Absicht. Er hat es sich nicht nehmen lassen, einen Aufsatz über mich zu schreiben. Und hat mir diesen Aufsatz zugesandt.

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Und ob er nicht noch ganz andere Sachen von mir will. Was soll´s, schaden kann es nicht, wenn der Aufsatz gelesen wird.